Obdachlose

Informationsethik – Die Dargestellten

In unserem vorhergehenden Blog haben wir euch die Sicht der „Täter“ näher gebracht. Wir wollen aber nicht die „Opfer“ vergessen, die Objekte vor der Linse, die unfreiwilligen Dargestellten. In den Beiträgen „Der Trend der Trends“ und „Der Trend geht weiter“ haben wir aufgezeigt, dass Selfies an den skurrilsten Orten und in den unglaublichsten Momenten aufgenommen werden. Wie zum Beispiel an einer Beerdigung. Als unberührter Betrachter des Bildes kann man sich natürlich seine Meinung in jeder erdenklichen Weise bilden. Man kann absolut dafür, total dagegen oder einfach wie die Schweiz, neutral, sein. Auch als Fotograf kann man sich freuen oder aufregen über die Qualität des Selfies. Doch zuletzt dürfen nicht diejenigen vergessen werden, die möglicherweise ungefragt und ungewollt abgelichtet werden.

Zu Beginn des Jahres kursierten Fotos im Web und auf den Smartphones, die einem neuen Trend folgten: Selfies mit Obdachlosen.

homeless guy background

Obdachlose als Selfie-Trophäe (Blick.ch, 2014)

Wie so oft gab es auch hier wieder Fürsprecher und Gegner. Und wahrscheinlich glaubte jeder, besser zu wissen, was Recht ist und was nicht.

In unserer Umfrage haben wir nach der persönlichen Meinung gefragt und wollten wissen, welche Fotos eher als super und welche dann doch als furchtbar angesehen werden. Die Ergebnisse, welche wir zu einem Teil bereits im Beitrag „Informationsethik – Die Darsteller“ behandelten, sprechen wohl für sich. Hier möchten wir noch etwas mehr auf die mögliche Gründe eingehen und diese von einer anderen Seite beleuchten.

98 Teilnehmer zur Frage, was sie von Gruppen-Selfies halten (Umfrage, 2014)

98 Teilnehmer zur Frage, was sie von Gruppen-Selfies halten (Umfrage, 2014)

Die Meinungen bei Gruppen-Selfies sind sehr zerstreut. Dies kann unter anderem daran liegen, dass sich die Befragten keine Gedanken darüber gemacht haben, sich nicht so richtig entscheiden konnten oder längst genervt sind von diesem Trend. Manch einer hatte womöglich das Oscar-Selfie von Ellen DeGeneres (wir berichteten im Beitrag „Die Wissenschaft der Selfies“) im Kopf, während die Anderen dabei an ihre Freunde dachten.

Ebenso verhält es sich bei den Obdachlosen als „Objekt“. Wie schon im ersten Beitrag erwähnt, ist sich die Mehrheit zwar einig, dass solche Bilder furchtbar sind, dennoch gibt es Teilnehmer, die sich auf keine Seite schlagen wollten. Hier sollte man bedenken, dass es auch schöne fotografische Darstellungen mit Obdachlosen gibt, für welche diese ziemlich sicher ihre Einwilligung gaben.

98 Teilnehmer zur Frage, was sie von Selfies mit Obdachlosen halten (Umfrage, 2014)

98 Teilnehmer zur Frage, was sie von Selfies mit Obdachlosen halten (Umfrage, 2014)

Während es bei den Obdachlosen knappe zwei Drittel sind, werden die Beerdigungs-Selfies bereits von mehr als ¾ der Teilnehmer als verwerflich wahrgenommen. Dies könnte daran liegen, dass eine Beerdigung an sich schon eine traurige Sache ist. Dabei aber noch ein Abbild von sich zu machen, am besten lächelnd, überschreitet wohl die Gemütsgrenze vieler. Verständlich, wie wir finden, besonders bei Darstellungen mit Verstorbenen im Hintergrund.

Die Erkenntnis, dass gesellschaftliche Ansichten variieren, hätten wir damit schon mal erlangt. Dies liegt wohl vor allem auch an den Moralvorstellungen, mit denen wir in unserem Umfeld aufwachsen und erzogen werden. Doch was ein Individuum beim unfreiwilligen Ablichten seiner selbst empfindet, ist damit noch immer nicht geklärt. Diese Antworten geben uns die letzten Resultate unserer Umfrage:

Ergebnis zur Frage "Würde es dich stören, wenn ungefragt ein Selfie ins Internet gestellt wird, auf dem auch du drauf bist?" (Umfrage, 2014)

Ergebnis zur Frage “Würde es dich stören, wenn ungefragt ein Selfie ins Internet gestellt wird, auf dem auch du drauf bist?” (Umfrage, 2014)

Ja! Gerade einmal ein Viertel würde sich nicht daran stören, ein Selfie von sich im Internet zu finden, von dessen Existenz er oder sie noch nicht einmal wusste. Diese Einstellung passt gut zu den Ergebnissen der subjektiven Ansichten. Denn viele, die sich selbst nur widerwillig auf einem fremdgeknipsten Selbstportrait wieder finden wollen, würden wohl auch nicht zwingend ein Selfie ungefragt im Web verbreiten. Für alle Anderen gilt das Sprichwort: „Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus“. Wer also selber Abbilder anderer ohne deren Erlaubnis veröffentlicht, muss damit rechnen, dass ihm dasselbe geschieht.

Zu guter Letzt wollten wir wissen, wie sich die Teilnehmer unter keinen Umständen auf einem Selfie sehen wollen. Der Grossteil der Befragten möchte sich demnach nie nackt sehen auf einem Selbstportrait. 13 Teilnehmer verzichten zudem gerne darauf, unter Alkoholeinfluss abgelichtet zu werden. Die meisten Antworten weisen darauf hin, dass sich die Leute ungern in einem erniedrigenden Zustand fotografieren lassen. Unserer Meinung nach die originellste Antwort war wohl: „Verkleidet als Hot Dog vor einem Hund weg rennend“.

Durch die Interpretation verschiedener Blickwinkel in diesen Beträgen, möchten wir dazu animieren, sich auch mal mit den eigenen Taten auseinanderzusetzen. Denn was für uns manchmal so belanglos scheint, kann für andere die Welt verändern.

Autorin: Monika Stucki
Co-Autorin: Jeannine Näf